Warum „Werther“?

Warum „Werther“?

Die Deutschklasse von Frau Kulke hat sich nicht nut mit Goethes „Leiden des jungen Werther“ beschäftigt, sondern auch mit der Frage, ob dieses Werk heute überhaupt noch lesenswert ist. Und wenn ja, warum.

Wir präsentieren im Folgenden zwei Rezensionen.

1. Leonardo: Goethes Werther: Ein typischer Mann

„Die Leiden des jungen Werther“ gilt als die deutsche literarische Kultur schlechthin. Kaum ein anderes Werk kann ihren Ruhm erreichen. Als Zentrum der Handlung steht der der junge Werther, der in seiner Emotionalität vermutlich mehr über das männlich sozialisierte Wesen preisgibt als es ihm Recht wäre.

„Die Leiden des jungen Werther“ behandelt die Verzweiflung eines jungen Liebenden: Hals über Kopf verliebt sich Werther in die eigentlich verlobte Charlotte. Die anfänglichen Euphorie weicht nach und nach jedoch Verzweiflung und Aussichtlosigkeit, da Werther realisiert, dass er seine Liebe zu Charlotte nie so ausleben kann, wie er es sich wünschen würde. Letztlich treibt ihn diese Erkenntnis sogar in der Klimax des Werkes in den Suizid.

Diese zugegebener Maße relativ generische Liebesgeschichte fällt im Endeffekt nur durch eines auf: Werthers Sprache. In einer Emotion und einem Ausdruck schildert Werther seine Gefühlswelt wieder, sodass sie den meisten Liebenden doch bekannt vorkommt. Goethe schafft es, die Liebe Werthers so nachvollziehbar auszudrücken, dass man nicht anders kann als mitzufühlen. Wer diese wahre Emotion nicht abnimmt und sie als überzogen und kitschig wahrnimmt, der mag in seinem Wesen dem Gefühl weniger empfänglich sein. Doch all jene, die mit Werther fühlen können, werden mit ihm fühlen. Strahlendste Freude, bitterste Trauer und Leid, all das kann dieser Briefroman ausdrücken. Doch trotz allem Ausdruck scheint neben der Emotion auch etwas anders zu liegen. Was Goethe durch sein Werk ausdrückt, sind viele Gefühle, die er selbst in einer tragischen Romanze sammelte. Diese Emotionen sind allerdings nicht nur seine, sondern sprechen auch stellvertretend für das, was Goethe und Werther vertreten, nämlich das männliche Geschlecht. Und hierbei fällt auf, wie die Gesellschaft einen Mann erzogen hat, der mit seiner Geschichte Weltruhm erreichen sollte. Während Werther überwiegend als sympathisch, einfühlsam und kinderliebend dargestellt wird, steht dieser frohen Fassade ein leider viel zu typisches männliches Wesen entgegen. Als Werther davon hört, dass ein Bekannter von ihm wegen der Vergewaltigung einer verheirateten Frau inhaftiert wurde, begegnet Werther dieser Situation mit größter Sympathie für den Vergewaltiger. In einer Weise, die uns heutzutage immer noch viel zu bekannt vorkommt, wird eines der abscheulichsten Verbrechen, die ein Mensch vollziehen kann, mit einer vermeintlichen Emotion, einem Verlangen, revidiert. Wenn es wirklich Emotion war, die Werther oder den Straftäter bewegte, dann kann diese Emotion nichts als animalisch und rückständig sein.

Und plötzlichkann ich die wütenden Kommentare bereits hören, ein pauschaler Männerhass wird mir vermutlich attestiert werden. Doch ich möchte klar sein, dass ich nicht dem biologischen männlichen Geschlecht etwas unterstelle, sondern einzig und allein dem Sozialen. Denn es ist schließlich die Gesellschaft, nicht nur im abstraktem Makrokosmos, sondern vor allem in der Mikroperspektive, die Gesellschaft von mehreren Individuen, die Misogynie zu verinnerlicht haben scheint. Denn ob es jetzt die Revision von Vergewaltigung, sexueller Belästigung oder einem unangebrachten Blick ist, ihm zu Grunde liegt immer eine vermeintliche Emotion. Und wo Gesellschaft uns sonst alles Animalische auszutreiben scheint, ist es hier plötzlich nicht mal mehr geächtet, sondern teilweise sogar gefordert, Frauen zum Lustobjekt des Mannes zu degradieren. In eben jenenMikro-Gesellschaften werden vermeintliche Witze gemacht und Herausforderungen gestellt, die Grenzüberschreitungen des Letzten zu überbieten.

Werther würde sich in unsere heutigen Mikro-Gesellschaften vermutlich tadellos einfinden. An späterer Stelle, kurz vor seinem Suizid, fordert er mit Gewalt einen Kuss Charlottes ein, dem Charlotte nur mit Unglaube begegnet. Der vermeintlich so gute Werther zeigt sein wahres Gesicht, ein männliches Gesicht. Zusammenfassend lässt sich wie so oft sagen, dass sich die Gesellschaft in der Kunst widerspiegelt. Das allein ist nichts Neues und auch nichts Schlechtes. Vielmehr dient es uns dazu, uns selbst zu untersuchen. Deswegen bin auch der Auffassung, dass „Die Leiden des Jungen Werther“, wie vermutlich fast jede Literatur in seiner eigenen Weise, des Lesens wert ist. Ein analytische, kritische Betrachtungsweise mag nicht jedem gefallen, wird meinerseits aber wärmstens empfohlen. Andernfalls kann unsere Gesellschaft nicht aus dem eigenen Fahlverhalten lernen.

2. Lara: „Die Leiden des jungen Werthers“ – Ein Klassiker für die Oberstufe

Der Briefroman von Goethe „Die Leiden des jungen Werthers“ wurde am 27. Februar 1774 in der Sturm-und-Drang-Epoche geschrieben. „Die Leiden des jungen Werthers“ handelt von der Hauptfigur Werther, der in eine neue Heimat zieht. Dort lernte er die Tochter eines verwitweten Amtmannes kennen und verliebt sich dann in sie, obwohl er weiß, dass sie verlobt ist. Jedoch kann sich die Hauptfigur damit nicht abfinden, weswegen ihn die Eifersucht in den Suizid treibt.

Durch den Briefroman erhält der Leser einen Einblick in die Einsichten und in die Gefühlswelt von Werther. Die der anderen kann man bis zum Ende nur erahnen. Am Ende des Briefromans kommt ein unbekannter „Herausgeber“ zu Wort, der das Umfeld um Lotte und Albert näher beleuchtet und somit auch die Tragik der Geschichte noch verstärkt. Die Jahreszeiten entsprechen der Gefühlswelt der Hauptfigur und deshalb erlebt der Leser eine einzigartige Beschreibung von Gefühlen wie zum Beispiel innere Zerrissenheit, Trauer und Schmerz einer Liebe, bis hin zur Trostlosigkeit und Ende des Leidens.

Meiner Meinung nach sollte das Werk definitiv in jeder Oberstufe gelesen werden, da Goethe die Gefühle und die Gedanken des jungen Werthers sehr detailliert, einzigartig und bildhaft beschreibt. Außerdem ist es auch spannend, eine andere Form von Büchern zu lesen, die nur aus Briefen besteht. Trotz der alten Sprache lohnt es sich, Werther näher kennenzulernen!

Bild: Wikimedia Commons