Beschwerden einer Radfahrerin

Beschwerden einer Radfahrerin

Hat Fahrradfahren noch eine Zukunft? Eine Frage, die zunächst irritieren mag, doch durchaus berechtigt ist und als Person, die ein Fahrrad besitzt und dieses bisher auch benutzt hat, frage ich mich das häufig. Vor allem dann, wenn ich, um eine Gehirnerschütterung und etliche weitere Unannehmlichkeiten zu vermeiden, lieber auf dem Bürgersteig als auf dem Fahrradweg fahre und mir eine betagte Dame im Vorbeifahren weise hinterhermeckert, dass es auch Fahrradwege gebe, die zum Fahrradfahren gedacht sind und die Jugend von heute ja wohl unglaublich sei.

Oder, wenn ich eine Straße vor einem Auto überquere, mich ein netter, betagter Herr anhupt, mir hinterherfährt, das Fenster runterkurbelt und sich in all seiner bescheidenen Überlegenheit dazu herablässt, mich dazu aufzufordern „nächstes Mal besser aufzupassen“.

Oder, wenn ich gerade noch abbremsen kann, bevor mich der Lastwagen, in dessen schwarzen Winkel ich mich befunden habe, überfährt. Und ja, es ist immer voll und ganz meine Schuld. Ich als Fahrradfahrerin trage volle Schuld für die Schäden, die bei den Autofahrer:innen – oder schlimmer noch, den Autos! – entstehen, sollte es jemals zur Kollision kommen. Nicht auszudenken, wenn in den nagelneuen Rennwagen irgendeines ignoranten Volltrottels – Verzeihung, ich meine natürlich wehrlosen Opfers – ein paar Kratzer kämen. Auch wenn ich im Krankenhaus läge, könnte ich mir nicht verzeihen, denn immerhin wäre ich die Fahrradfahrerin.

Fahrradfahren ist gefährlich. Für andere. 2022 starben im Verkehr 1192 Pkw-Fahrende, wohingegen nur 474 Radfahrer:innen ihr Leben ließen. Und definitiv, unzweifelhaft, vollkommen und absolut sicher und nicht hinterfragenswert sind Radfahrer:innen an jedem Unfall und jedem Unfalltod schuld. Wie das geht, wo die meisten Unfälle doch von Autos gebaut werden? Das ist doch ganz klar: Warum kollidieren Autos? Weil die Fahrer:innen unkonzentriert sind. Warum sind sie unkonzentriert? Weil sie sich über einen Radfahrenden aufregen müssen, weil, der hat, der ist, sein Helm und sowieso… der regt halt auf!

Fahrradfahren ist gefährlich. Für uns. Wer ist nicht schon mal fast von einem Auto überfahren worden, das mitten aus dem Nirgendwo angeschossen kam? Wer ist nicht schon mal aus Angst vor der Seniorin oder weil man nach dem Bestehen des Fahrradscheins nicht mehr auf dem Gehweg fahren darf, auf der Straße gefahren und fast vom Auto geschnitten worden? Und mal ehrlich: Würde man alle Autos, die beim Überholen den Mindestabstand von 1,5 Metern nicht einhalten, anzeigen, wären viele Autofahrer:innen inzwischen deutllich ärmer bzw. um etliche Punkte in Flensburg reicher, wenn es sich bei dem/der Fahrradfahrer:in um eine besonders schutzbedürftige Person handelt.

Fahrräder sind ungern gesehen in den Städten, zumindest gewinnt man diesen Eindruck, wenn man sich das lückenhafte Berliner Fahrradwegnetz ansieht und den Baustopp für Radwege im Sommer betrachtet. Fahrräder sind gut für die Umwelt, ja, und man sollte sie unterstützen, definitiv. Aber sobald sie Platz einfordern, der zuvor für Autos oder Busse eingeplant war, wird es heikel. Nicht auszudenken, das auf der wertvollen Parkfläche eines Autos mehrere Fahrräder ihren Abstellplatz finden könnten!

Dafür, dass Fahrräder angeblich die Zukunft der Innenstädte sind, merkt man nicht viel von dem Engagement für die umweltfreundlichen und billigen Fortbewegungsmittel.

Sie sind platzsparender und kostengünstiger als Autos, gut für die Gesundheit, eine klimafreundliche Alternative und verursachen kaum tödliche Unfälle – was ist es also, das alle am Auto festhalten lässt? Ja, es gibt Gründe, ein Auto zu besitzen. Aber die ruhmreiche Rolle, die besonders Deutsche dem Auto beimessen, steht ihm nicht zu. In einer Stadt wie Berlin kommt man ohne Auto überallhin. Der ÖPNV ist, wenn nicht gerade gestreikt wird, eine gute Alternative zum Fahrradfahren. Diese absurde Glorifizierung des Autos als ultimatives Freiheitssymbol, das Vorrang vor allen anderen Verkehrsmitteln hat, ist aus der Zeit gefallen.

Pia

Quellen: https://www.tagesspiegel.de/berlin/baustopp-fur-radwege-berlins-verkehrssenatorin-verteidigt-entscheidung–mit-einer-einschrankung-9999256.html;https://www.bussgeldkatalog.org/seitenabstand

https://www.bike-magazin.de/magazin/hintergruende/statikstik-verkehrstote-2022-474-tote-radfahrerinnen-und-radfahrer/

Bild: unsplash.com