Das Schadow in der FAZ

Das Schadow in der FAZ

Der Leistungskurs Deutsch von Frau Posselt hat im letzten Semester (Q1) am Projekt „Jugend Schreibt“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung teilgenommen. Die Schülerinnen und Schüler haben dabei selbständig Texte geschrieben, Themen recherchiert und Verbesserungsvorschläge eingearbeitet. Besonders gelungene Texte wurden dann in der FAZ veröffentlicht.

Sehr erfreulich ist es, dass es aus dem vollen Feld der Teilnehmer*innen drei Texte vom Schadow-Gymnasium in die Zeitung geschafft haben!
Nicht ganz so erfreulich ist es, dass die Texte sehr schnell von der FAZ-Homepage wieder verschwinden. (Ganz ehrlich, liebe FAZ, so etwas kann man wunderbar archivieren, bei der Berliner Qualitätszeitung GOTTFRIED kommt z.B. kein Text verlorenund ist immer durch die Suchfunktion zu finden, geht ganz einfach, das könnt ihr auch! Meldet euch, wenn ihr Fragen dazu habt!)

Im Sinne einer journalistischen Amtshilfe veröffentlichen wir hier noch einmal die drei Reportagen, und gratulieren natürlich ganz herzlich für die Veröffentlichung!
Wer es bei der FAZ schafft, ist übrigens auch bei uns herzlich willkommen!

Man muss selbst was dafür tun“

Von: Florentine Markfort

Quietschfidel öffnet Elisabeth Richter-Dröscher die Tür ihrer Altbauwohnung in Steglitz an einem grauen Samstagnachmittag im November. Der Geruch von Kaffee und Kuchen steigt in die Nase. „Herein, herein!“, ruft sie etwas in Eile. Sie scheint sehr beschäftigt zu sein. Ihre Wangen sind vor Aufregung gerötet. Sie versprüht viel Energie. Dass sie schon 98 Jahre alt ist, merkt man ihr nicht an. Allenfalls der Rollator deutet auf ihr stolzes Alter hin. Doch den lässt sie auch gerne mal stehen, wenn sie nochmal in die Küche hastet, um mehr Geschirr für ihre knapp 20 Gäste zu holen, die schon im Wohnzimmer warten.

Drinnen ist es gemütlich und stilvoll eingerichtet. Ein großes Regal mit Kunstbänden, Familienfotos und ein Bild, das ihre Mutter gemalt hat, zieren den Raum.

Anlass des Zusammenkommens ist einer von drei Basaren zugunsten von „Ärzte ohne Grenzen“, zu dem Richter Freundinnen, Bekannte und all jene, die davon gehört haben, einlädt. Ob jung oder alt, alle sind willkommen. Die jüngsten sind 17 Jahre alt. „Ich finde es so schön, Kontakt zu jungen Menschen zu haben.“

In einer kleinen Ansprache begrüßt sie ihre Gäste. Sie trägt eine geblümte Bluse. Blaue, wache Augen und Lachfalten zeichnen ihr Gesicht. Es sind nur Frauen. Jeder widmet sie ein paar persönliche Worte. Die meisten kennt sie aus ihrer Zeit als Hauswirtschaftslehrerin. Das ganze Jahr über arbeiten sie schon an kleinen und großen Handarbeiten, die sie heute präsentieren. „Über 100 Karten hat sie bestickt“, rühmt Richter eine ihrer Freundinnen. Und über ihre Haushaltshilfe lächelnd: „Wenn 100 Scheine auf dem Tisch liegen, liegt höchstens noch einer mehr da.“

Die entstandenen Meisterwerke können alle im angrenzenden Esszimmer bestaunen. Es ist kaum als solches zu erkennen. Überall haben Richter und ihre 65 Jahre alte Tochter den Raum mit Handarbeiten geschmückt. An der Wand hängen selbstgemachte Tannenbäume aus Stoff, auf silbernen Tellern präsentieren sie sorgfältig gebastelte Fröbelsterne und Papierengel. Genähte Patchwork-Kissenbezüge, 40 an der Zahl, und Tischsets liegen neben Herzen, in denen man Geldscheine zum Schenken verstecken kann. Die bestickten Karten mit kleinen Weihnachtsmotiven sind der Renner. Ausgerechnet Karten! Sowas gibt es noch? Es fällt schwer, das schöne Arrangement zu zerstören. Das Spendensammeln ist angelehnt an das Prinzip „Pay what you want“. Die Gäste dürfen sich frei an den Werken bedienen und zahlen im Gegenzug einen selbstgewählten Betrag, der im kleinen Sparschwein in der Mitte des Tisches landet. Das Sparschwein füllt sich schnell.

Mit leuchtenden Augen erzählt Richter, dass sie dieses Jahr ganze 1585 Euro eingenommen hat. Ein Drittel mehr, als im Jahr zuvor, glaubt sie. Gewiss ist das aber nicht, denn – wie sie lachend von sich selbst behauptet – sei sie „eher praktisch veranlagt. Mathe kann ich nicht ausstehen.“ Seit mehr als 15 Jahren spendet sie schon an die Hilfsorganisation. Das Spenden sei eine „Herzenssache“. Wenn man schon in so jungen Jahren so viel Elend miterleben musste, habe man ein besonderes Gespür für das Leid anderer entwickelt. „Früher, da kamen die Menschen und haben gefragt, ob sie nicht ein bisschen Mehl und Kartoffeln kriegen könnten. Vater hat ihnen immer geholfen. Es macht viel aus, wie man als Kind aufgewachsen ist. Man kann nur jeden Tag beten, dass wir von einem Krieg verschont bleiben. Wenn man sieht, was rundherum passiert. Ich finde das so schrecklich!“ Sie hält eine Weile inne und schaut in ihren Tee.

Als sie das Gespräch wieder aufnimmt, ist die Stimmung viel intimer geworden. Der Basar hat für Richter eine tiefere Bedeutung. All ihr Herzblut steckt darin. Er ist Ergebnis ihres Durchhaltevermögens, Engagements, ihrer Hilfsbereitschaft, der Leidenschaft fürs Nähen, ihres Sinns für Ästhetik und nicht zuletzt ihrer Lebensenergie.

Aufgewachsen ist sie in Tangermünde, einer alten Stadt an der Elbe. Seit 1610 betrieb ihre Familie dort die Posthalterei und war in der Landwirtschaft tätig. Normalerweise hätte sie eines Tages den Hof geerbt. Doch die Familie wurde nach dem Krieg enteignet. Eine andere Lösung musste her und so besuchte sie die Landfrauenschule, wo sie Hauswirtschaft lernte. Zwei Jahre später, 1948, lernte sie in Quedlinburg ihren Mann kennen. „Wir waren jung und verliebt“. Doch auchder seit 1610 in ihrer

Kindheit : große landwirtschaft, posthalterei, findet man auch im internet aufgewachsen in tangermünde, damaliger teil der ddr, an der elbe, seit 1610 liegt ihre familie da, letztes glied, auf. Wusste lange nicht, was sie machen will, normalerweise hätte sie eines tages den hof geerbt. 1948 Mann kennengelernt Unbehagen mischt sich in ihre Erinnerung an die Zeit, in der sie mit ihrer Freundin als Lehrerin eingesetzt wurde. „Wir hatten ein Zimmer bei einer Familie. Die Toilette war auf dem Hof. Das war furchtbar, wenn man morgens so schnell muss und dann rennen. Ach je. Das war alles wahnsinnig primitiv.“ In ähnlichen Verhältnissen lebte sie später mit ihrem Mann, als die beiden zusammen nach Berlin zogen. „Wir haben Nudeln mit Tomatensauce und Tomatensauce mit Nudeln gegessen. Aber es war schön.“ Sie klatscht dabei bejahend in die Hände. „Ja!“ Dafür hat sie sich immer wieder entschieden.

„Als mein Mann vor 20 Jahren starb, das war wirklich schrecklich. Da war ich plötzlich mutterseelenallein.“ Ihre Stimme zittert leicht, wenn sie von ihm erzählt. „Da habe ich mir gedacht – entweder du machst jetzt was und lebst weiter oder du verkriechst dich.“ Elisabeth Richter-Dröscher hat was gemacht.

Erst vor zwei Jahren hat sie eine Frauenrunde gegründet. Gemeinsam mit sieben ehemaligen Schülerinnen trifft sie sich einmal im Monat bei sich zuhause. Sie tauschen ihre Erfahrungen über das Kriegsende, ihren beruflichen Werdegang, ihre Großeltern, ihre Kindheit aus. Auch politische Themen wie der Klimaschutz finden ihren Weg in Richters Wohnzimmer. Per Mail wird vorab ein Gesprächsthema bestimmt, über das bei Kaffee und Kuchen geplaudert wird. Das erste Thema: „Der Baumkuchen“.

Langeweile kennt sie nicht. „Ich schaffe nicht alles. Nicht einmal fürs Lesen habe ich Zeit.“ Wie auch, wenn sie jeden Tag – außer an ihrem Geburtstag – näht? Ihre mühsam ersparte Nähmaschine begleitet sie seit 60 Jahren. „Sie ist ein Teil von mir. Sie lebt mit mir.“ Doch jetzt ist sie kaputt. Derzeit näht sie mit der Hand. Bis bald eine neue kommt. Eine neue, die sie zusammen mit ihrer Tochter aussuchen wird.

Die Familie, deren Geschichte sie in einem Buch festgehalten hat, liegt ihr besonders am Herzen. Auch ein eindrucksvoller Schrank zeugt davon. Ein Familienerbstück, erzählt sie. Seit über drei Jahrhunderten wird der Schrank, der noch aus der Goethezeit stammt, in der Familie weitergegeben. Wo früher noch Schmalz und Wurst gelagert wurden, steht jetzt ihr schönes KPM Kurland Geschirr. „Er ist fast unversehrt, sogar die Schlösser sind noch die alten. Nur einmal musste er geölt werden“, erzählt sie stolz, während sie über das warme Holz streicht. Früher, als ihr Enkel Felix noch klein war, fragte er sie: „Amma, wer kriegt denn später mal den Großvaterschrank?“. „Er hatte schon damals den Wert des Schrankes erkannt.“ Ihre Stimme wird ganz ruhig, wenn sie über ihre Familie redet. Felix, der inzwischen mit seinen 32 Jahren gar nicht mehr so klein ist, und ihre Tochter nennen sie immer noch „Amma“. Früher wars auch mal „Mumme“, bis sie schließlich erfahren hat, dass das ein Bier in Braunschweig ist. „Ich bin doch kein Bier!“, empört sie sich. „Zeit mit den beiden zu verbringen, tut soooo gut. Mit Felix habe ich ein ganz herzliches Verhältnis. Er schätzt seine Großmutter und mag glaube ich an mir, dass ich im Kopf noch völlig da bin und dass man sich mit mir eben über alles unterhalten kann.“ Ihre Tochter besucht sie jeden Tag. Tränen kullern über ihre Wangen, als sie eine kleine Begebenheit mit ihrer Tochter schildert. „Wie schön, dass gerade in solchen Momenten dein Kind kommt. Ich habe sie ganz fest in den Arm genommen und gedrückt.“

Manchmal kann es eben doch etwas einsam werden. „Leider versterben alle. Das ist das Schlimme am Altern. Es werden immer weniger und irgendwann ist man alleine.“ Nein, es ist nicht leicht, aber auch hier wieder ein „ja“ und fast hört man sie in die Hände klatschen: „Man muss selbst was dafür tun.“

Kurbeln aus Leidenschaft

Von: Antonie Bauchmüller

Ein Instrument, das immer mehr in Vergessenheit gerät – die Drehorgel sieht man nicht mehr oft in deutschen Städten. Ein Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Klang weiterhin auf die Berliner Straßen zu bringen.

Es ist der 1. Juli, ein sonniger Tag. Mehr als 120 Wägelchen zuckeln in kleinen Abständen über die Straße, ihre Melodien vermischen sich. Die Polizei macht den Ku‘damm in Berlin frei, damit die Menschen hinter den rollenden Kästen freie Bahn haben. Vergnügt schieben sie ihre Drehorgeln vor sich her und kurbeln, was das Zeug hält; Alt und Jung, in verschiedenen Trachten, aus vielen Nationen. Am Straßenrand bleiben Passanten stehen. Unter den vielen Umzügen, die Berlin so erlebt, ist dieser sicherlich einer der sonderbarsten.

Es gibt nicht mehr viele von diesen Holzkästen auf vier Rädern – aber sie existieren noch. Vereinzelt an Berliner Straßenecken, aber auch in vielen Metropolen Europas. Doch die Drehorgel ist vom Aussterben bedroht.

Wenn Anfang Juli der Ku‘damm zur Drehorgelmeile wird, dann steigt wieder das Internationale Drehorgelfest, 2023 zum 42. Mal. Ausgerichtet wird es von den Internationalen Drehorgelfreunden Berlin – ein Verein, dem es um die Bewahrung der Drehorgelmusik geht. Immerhin 225 Mitglieder hat der Verein, mehr als so mancher Sportverein. Die Mitglieder treffen sich jeden ersten Montag im Monat zu einem Stammtisch, um sich über ihre Erlebnisse beim Musizieren auszutauschen. Für manche ist es mehr als ein Verein, es ist wie eine Familie. Zum Beispiel für Dirk Lieske und seinen Lebensgefährten Ruppert Pleyer. „Da haben sich Freundschaften gebildet, für viele ältere Alleinstehende ist dieser Zusammenhalt wichtig“, erzählt Pleyer. Die beiden sind seit 2016 Mitglieder im Verein. Dirk Lieske ist eigentlich Labortechniker an der Universität Cottbus. Sein Urgroßvater kaufte 1954 eine Drehorgel für seine Enkel, damit diese „Zampern“ gehen konnten. Zampern, ein Wort aus der Lausitz, bezeichnet das Umherziehen der Jugendlichen an Karneval. Dabei machen sie Musik und verdienen so Geld, das sie anschließend verprassen können. Lange verstaubte diese auf dem Dachboden – bis Lieske sie mit seinem Opa aufstöberte. 1990 schoben die beiden sie beim Drehorgelfest dann über den Ku´damm. Mittlerweile besitzt Lieske, 54, schon drei Drehorgeln, Oft wird er von Weihnachts- oder Jahrmärkten und zu privaten Anlässen gebucht, Pleyer begleitet ihn dorthin. Er kann von sehr unterschiedlichen Reaktionen auf die Musik berichten. Neben Kindern, die gar nicht genug bekommen können, gibt es auch immer wieder Zeichen der Ablehnung: „Es gibt auch welche mit dem Handy am Ohr, die sich mit der anderen Hand das Ohr zuhalten und genervt gucken“, beschreibt Pleyer. Verkäufer an benachbarten Ständen drehten auch gerne mal das Radio lauter.

Doch die, die am Kasten kurbeln, tun es aus Leidenschaft. „Drehorgelspielen ist eine Art Kulturpflege“, erklärt Lieske, man sei aber auch Aufklärer und Traditionsbewahrer. „Die Drehorgel bringt den Hauch der guten alten Zeit wieder.“ Der Finsterwalder erzählt den Leuten gerne, wie eine Drehorgel funktioniert – das gehört dazu. Hierfür hat er sich auch extra eine Drehorgel angeschafft, bei der man das Auseinander- und wieder Zusammenfalten der Notenbücher sehen kann. Könnte man weiter in die Drehorgel gucken, würde man sehen, wie die Kurbel einen Blasebalg und eine Notenrolle oder ein Notenbuch in Bewegung setzt. Die Notenrolle, ein aufgerolltes Papier mit eingestanzten Löchern, sorgt dafür, dass die Luft aus dem Blasebalg in die richtige Orgelpfeife strömt.

Ein guter Drehorgelspieler benötigt musikalisches Gehör und Verständnis. Ein neues Lied muss man auch erstmal üben, um das richtige Tempo zu finden“, sagt Lieske. Und man braucht Menschenkenntnis – um zu erkennen, wann man auf dem Jahrmarkt besser den Standort wechseln sollte, um Stress mit den Budenbesitzern zu vermeiden. Ein bisschen Geld verdiene man zwar auch, aber dass investiere man eher in neue Lieder und Zubehör. Bei den meisten Drehorgeln werden die Melodien auf „Notenrollen“ gespeichert, eine neue Notenrolle mit einem oder mehreren Liedern kostet zwischen 80 und 120 Euro. „Darauf wartet man auch mal ein halbes Jahr“, sagt Pleyer. Die Drehorgel ist ein Exot, die Wartelisten sind lang.

Und trotzdem – es gibt Nachwuchs. „Es gibt noch einige wenige Gründungsmitglieder, aber auch 16- bis 20-Jährigen sind mit dabei“, sagt Pleyer. Und nicht immer sind das die Kinder begeisterter Drehorgelspieler. Das Instrument ist altmodisch, aber anscheinend auch zeitlos. Es gibt sogar selbstspielende oder elektronische Drehorgeln, die nicht mit Notenbuch, Lochkarte oder Walze funktionieren, sondern mit einem Computerchip. Das mag zwar praktisch sein, bei dem Verein der Drehorgelfreunde sind sie aber gar nicht gern gesehen.

Die Tradition der Drehorgel ist schon über 400 Jahre alt, erzählt Pleyer. Gegen 1600 wurde sie erfunden, im 18. Jahrhundert setzte man sie verstärkt am französischen Hof ein: Man wollte Kanarienvögeln Melodien beibringen. Dafür boten sich bestimmte Drehorgeln an, sogenannte Serinetten. Anstatt stundenlang die Stimme zu strapazieren, konnte man bequem an einer Kurbel drehen.

In Deutschland war die Mode des Wunderkastens im späten 19. Jahrhundert auf ihrem Höhepunkt. Nach den deutschen Einigungskriegen gab es viele Kriegsversehrte, es herrschte große Armut. Vielen der Versehrten fehlte ein Arm oder ein Bein, einige waren blind – eine Arbeit war schwer zu finden. Man gab den Invaliden also einfache Instrumente an die Hand, die dem Staat gehörten und sich mieten ließen – zum Beispiel die Drehorgel. Dafür musste man nicht besonders musikalisch sein, und beim Publikum kam es gut an. In Zeiten ohne CD-Player oder Spotify war öffentlich zugängliche Musik etwas Besonderes. Die Drehorgelspieler zog es in Gasthäuser und auf Marktplätze, und natürlich dahin, wo viele Menschen waren, zum Beispiel nach Berlin. Hier nennt man die Drehorgel auch gerne Leierkasten, obwohl ein Leierkasten meist deutlich kleiner ist als eine Drehorgel. Im Verein wird der Begriff eher abfällig genutzt, nämlich dann, wenn die Drehorgel nur noch lieblos gespielt wird. „Die Drehorgel wird zum Leierkasten, wenn man sie nicht mehr ertragen kann“, sagt Pleyer.

Heutzutage braucht man keine Drehorgel mehr, um Musik zu hören – und dennoch erfreut sie sich weiterhin einer gewissen Beliebtheit. Es gibt eine wahre Drehorgelszene in Europa, regelmäßig veranstalten Vereine Treffen und Feste. „Ich glaube, dass es immer eine Nische dafür geben wird“, sagt Pleyer. „Den Drehorgelfreunden ist es wichtig, dass niemand vergisst, dass es uns gibt.“

Der Tod ist mein Beruf

Von: Charlotte Kleine

Ein kleiner kühler Raum mit dunkel gestrichenen Wänden, an denen auf beiden Seiten übereinandergestapelte Särge stehen, von dessen Vielzahl man sofort überwältigt wird. Von Mahagoni über Kiefer bis hin zur Esche, ob verziert oder einfach, gebürstet oder glänzend.

Am Ende des kleinen Zimmers, das aufgrund der Kälte und des sich in ihm befindenden Holzes etwas modrig riecht, steht ein Schreibtisch, an dem drei Leute Platz finden. Hinter dem Schreibtisch erstreckt sich ein Regal, das gebogen durch die Last der 50 verschiedenen Urnenarten, aufgereiht wie im Kaufhaus, fast zu zerbrechen droht. Und da sitzt er, ein älterer Herr mit weißen Haaren, der seinen verschlissenen schwarzen Anzug wie eine Uniform trägt.

Das sind die Bilder die den meisten beim Gedanken an ein Bestattungshaus in den Sinn kommen.

Doch im Bestattungsinstitut „Lebensnah“ in Potsdam in der Kurfürstenstraße soll das nicht der Fall sein. Von außen verschmilzt das Geschäft mit den Backsteinhäusern, die links und rechts von ihm für ein idyllisches Potsdamer Stadtbild sorgen, und es wirkt auf Vorbeigehende sehr unauffällig. Lediglich das große Firmenschild „lebensnah individuelle Bestattungen“ lässt darauf schließen, was sich hinter diesen Mauern verbirgt.

Beim Betreten des Raumes wird man stutzig. Man steht in einem minimalistisch eingerichteten hellen Zimmer, das durch zwei große Fenster die Sonnenstrahlen einfängt. Die Einrichtung besteht lediglich aus einem kleinen Tisch an der Wand, um den herum vier bunte Stühle verteilt sind. Im hinteren Teil des Ladens befindet sich eine weitere kleine Sitzgelegenheit, die etwas vor den Blicken anderer geschützt ist.

Keine Särge, Urnen oder ähnliche mit dem Tod assoziierte Objekte fallen einem ins Auge.

Hier arbeiten Mitarbeiter, die mit einer stillen Präsenz den Trauernden in ihrer schwersten Stunde beistehen. Die Stille wird nur von leisen Schritten und sanften Worten des Trostes gebrochen, die sorgfältig gewählt werden, um die Wunden der Seele zu heilen.

Dieses Unternehmen für individuelle Bestattungen wurde 2016 von Eric Wrede gegründet. Herr Wrede verleiht den Bestattungen Individualität, indem er die Hinterbliebenen stark in die Mitgestaltung der Beerdigung einbezieht und in seiner Trauerbegleitung individuell auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen eingeht.

Mit seinen tattowierten Armen, stellt der großgewachsene, braunhaarige Mann nicht gerade das Bild dar, das die meisten von einem Bestatter haben. Das Leben des gebürtigen Rostockers nahm eine 180-Grad-Wendung, als er mit Mitte dreißig beschloss, seine Karriere als erfolgreicher Musikproduzent und Geschäftsführer eines Radiosenders aufzugeben. Er begab sich auf die Suche nach einem neuen Sinn für sein restliches Leben. „Dass das Bestatter geworden ist, damit hätte ich, glaube ich, auch nicht gerechnet“, gibt Wrede zu und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Ich sehe mich heute als der glücklichste Mensch, der ich sein kann, obwohl der Weg dahin ein steiniger war.“

Als er seinen Freunden und seiner Familie von den Plänen, Bestatter zu werden, erzählte, hielten diese ihn für „bekloppt“ und nahmen ihn zunächst nicht ernst, erklärt dieser, während sich ein verschmitztes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitet.

Solche Reaktionen hielten den überzeugten Herrn Wrede jedoch nicht davon ab, ein Praktikum in einem klassischen Bestattungshaus zu absolvieren.

Mit dem Ziel vor Augen, so seriös wie möglich zu wirken, begann Wrede damit, seine Tattoos immer zu verbergen. Denn obwohl er den Praktikumsplatz schon hatte, musste er vor Ort zunächst beweisen, wie ernst ihm seine Entscheidung war.

Nach einem Blick hinter die Kulissen und der Identifizierung aller Defizite, die diese Branche seiner Meinung nach aufwies, beschloss er, selber ein Unternehmen zu gründen. „So wie das jetzt mit den Abschieden läuft, kann das nicht im Sinne aller sein. Wir müssen anfangen, da zusammen was zu überdenken.“ Gesagt getan. Jetzt, sieben Jahre später, hat sein Unternehmen vier Standorte für individuelle Bestattungen in Deutschland wie beispielsweise Leipzig und Halle.

Sein Ziel ist es, einen physischen und mentalen Raum zu schaffen, in dem man sich traut zu trauern. „Der erste Schritt, um zu trauern, ist, anzuerkennen, was passiert ist. Sobald dieser Raum und diese Selbsterkenntnis geschaffen wurden, habe ich meinen Job gut gemacht“, sagt der heute 43-Jährige stolz. Er stellt fest, „Trauern ist nicht das Problem, es ist die Antwort.“

Wie sich aus dem Namen seines Unternehmens „lebensnah“ schon schließen lässt, geht es Wrede nicht primär um die perfekte Inszenierung der Beerdigung. Er fokussiert sich hingegen auf die Lebenden und hat es sich zur Aufgabe gemacht, deren Trauer Raum zu geben und zu lindern. Auch auf die Fragen hin, was der tägliche Umgang mit Tod und Trauer mit seiner Psyche mache, merkt man, dass er diesen Aspekt seiner Arbeit aus einer anderen Perspektive betrachtet. „Trauern ist für mich nur ein Äquivalent zur Liebe. Ich bin täglich mit Leuten zusammen, die lieben und geliebt werden und das ist eher etwas Bekräftigendes für mich.“

Wrede wollte seine Unterstützung für die Hinterbliebenen jedoch nicht bei der Trauerüberwindung und Bestattungsplanung enden lassen.

Zusammen mit Jasmin El-Manhy und dem Stephanus Kinderhospizdienst gründete Wrede die Initiative „Kindertrauer Berlin“, in der Kinder Schritt für Schritt an eine Trauersituation herangeführt werden. Ab dem Zeitpunkt der Erkrankung eines Familienmitglieds bis hin zum Verlust dieses Familienmitglieds können die Kinder dort von professionellen Betreuern und Ehrenamtlichen betreut werden. Es gibt verschiedene Angebote, die eine Auseinandersetzung mit solchen Situationen erleichtern sollen. Die Kinder können psychosozial begleitet werden, ob mit Familie oder ohne. Außerdem besteht das Angebot, die Kinder auf eine Beerdigung vorbereiten und sie auch währenddessen zu begleiten.

In der Hoffnung, den Themen Tod und Trauer den allgemeinen Schrecken zu nehmen, schrieb Eric Wrede das Buch „The End“, in dem er über sein Leben und seine gesammelten Erfahrungen berichtet. Zudem führt er einen Podcast für Radio 1 „The end – Der Podcast über Leben und Tod“, in dem er mit Gästen offen über bestimmte schwere Themen und Situationen spricht. „Es soll animieren zu sprechen, denn die Basis allen Übels ist, dass Leute nicht miteinander kommunizieren und das gerade über extreme Situationen,“ erklärt der Familienvater.

Eric Wrede bereut seine lebensverändernde Entscheidung bis heute nicht. „Ich verdiene Geld mit dem, was ich mache, und ich mache das gerne, also mehr kann ich mir jetzt auch nicht wünschen. Das ist schon extremer Luxus, glaube ich“, sagt Wrede mit einem Funkeln in den Augen. Es folgt eine kurze Pause und dann fügt er hinzu: „Und es gibt, glaube ich, auch noch genug zu tun, also im Sinne von zu verändern.“

„Ich habe jeden Tag mit Menschen zu tun, die so voller Liebe sind, dass ich immer denke, warum haben sie die nicht jeden Tag?“ fragt sich Eric Wrede, der wie jeden Tag in den vergangenen sieben Jahre, sein Geschäft mit einem Lächeln auf dem Gesicht zuschließt.

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